Herrnhuter Schul- und Bildungstradition

von Claudia Mai

 

In diesem Jahr blicken wir zurück auf 300 Jahre Schul- und Bildungswesen in der Herrnhuter Brüdergemeine, das sich am Schulwesen August Hermann Franckes (1663–1727) in Halle orientierte und an die pädagogischen Traditionen der Alten Brüder-Unität mit Johann Amos Comenius (1592–1670) anknüpfte.

Eng mit den Anfängen Herrnhuts verbunden, sah schon der ursprüngliche Siedlungsplan ein Waisenhaus und eine Schule vor. Bereits 1721 soll Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760) ein schriftliches Konzept für eine Landschule erstellt haben. 1723 begann Zinzendorf zunächst das Schulwesen in Berthelsdorf zu erneuern und errichtete eine Mädchenschule. Ein Jahr später legte er in Herrnhut am 12. Mai 1724 den Grundstein zum „Gemeinhaus“, in dem ein Adelspädagogium für Knaben eingerichtet wurde. Dieses Ereignis galt fortan in der Brüdergemeine als Beginn der Herrnhuter Bildungs- und Erziehungsarbeit. Bereits 1727 wurde die Adelsschule wieder aufgehoben und in ein Waisenhaus zur geistlichen Erziehung von Knaben und Mädchen umgewandelt. 1735 wurde eine Lateinschule in Herrnhut gegründet. Die Einrichtung von Bildungsanstalten gehörte zu den Hauptanliegen Zinzendorfs und der entstehenden Brüdergemeine.

 

Mit Zinzendorfs Ausweisung aus Sachsen entwickelte sich ab 1738 in der Wetterau ein neues Zentrum der Brüdergemeine mit Bildungsinstituten für Kleinkinder bis hin zu Studenten. Entsprechende Bildungseinrichtungen entstanden in den 1740er-Jahren auch in Bethlehem (Pennsylvania), in England und in den Niederlanden. Nahezu überall, wo in den folgenden Jahren Herrnhuter Gemeinden oder Missionsstationen in anderen Teilen der Welt entstanden, wurden zugleich Schulen eingerichtet.

Neben der elementaren Ausbildung der Kinder und Jugendlichen war den Herrnhutern dabei der Geist wichtig, in dem Bildung geschieht. Bildung und Erziehung waren fest mit den liturgischen Versammlungen und dem praktischen Glaubensleben verbunden, das das ganze Wesen des Kindes prägte, ob durch Elternerziehung oder durch institutionelle Erziehung.

Dabei kann die Brüdergemeine auf eine Reihe prägender Pädagogen zurückblicken, wie z. B. auf den Rektor des Zittauer Gymnasiums, Polykarp Müller (1684–1747), den Direktor der Lateinschule in Neustadt an der Aisch, Paul Eugen Layritz (1707–1788), oder auf das Mitglied der Kirchenleitung im Erziehungsdepartement, Friedrich Renatus Frühauf (1764-1851).

Auf die Anfangszeit folgten Jahre des Aufblühens der Herrnhuter Schulen und Erziehungseinrichtungen. Neben den Unitätsanstalten mit Unitätsknabenanstalt, Pädagogium und Theologischem Seminar gab es in den Brüdergemeinorten Tagesschulen, Pensionsanstalten für Mädchen und Jungen sowie Brüder- und Schwesternhäuser mit beruflicher Aus- und Weiterbildung. Dabei konnte die Brüdergemeine ihre Bildungseinrichtungen weitestgehend nach eigenen Vorstellungen gestalten.

Dies änderte sich Ende des 19. Jahrhunderts mit der Einführung staatlicher Vorgaben für geschultes Lehrpersonal, Lehrpläne und anerkannte Abschlussprüfungen. Nach staatlichem Vorbild wurde 1872 in Niesky ein Lehrerseminar und 1875 in Gnadau ein Lehrerinnenseminar gegründet, nachdem schon 1869 eine Missionsschule in Niesky errichtet worden war. Auch in den anderen Provinzen und Missionsgebieten wurden Schulen und Seminare zur theologischen und pädagogischen Ausbildung unterhalten, so z. B. das Lehrer- bzw. Lehrerinnenseminar in Cedarhall auf Antigua ab 1847 bzw. 1854.

In Deutschland gingen die Möglichkeiten der Herrnhuter Bildungseinrichtungen nach der Einführung staatlicher Reglements sowie finanziellen Krisenjahren Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Mit der Zeit des Nationalsozialismus und dessen Folgen kam das Herrnhuter Erziehungswesen fast zum Erliegen. Auch in den Unitäts- und Missionsprovinzen ist die Schulgeschichte wechselvoll.

Ein Zeichen der Hoffnung ist es, dass seit 2006 am Ursprungsort in Herrnhut wieder eine Zinzendorfschule die Arbeit aufnehmen konnte.

 

Beitrag aus dem Herrnhuter Bote - Heft 313 Mai bis Juli 2024